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Komplexität: Vom Lichtschalter zur Zauberkiste

  • Autorenbild: Yves Ryser
    Yves Ryser
  • 25. Mai
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 25. Okt.

Warum Komplexität andere Antworten braucht als Knopfdruck und Checkliste.


Ein Lichtschalter ist einfach. Ein Flugzeug ist kompliziert. Aber Menschen, die sind komplex. So beginnt unser Denkabenteuer über eines der meistgebrauchten und am wenigsten verstandenen Konzepte der heutigen Arbeitswelt: Komplexität.

Stell dir eine Zauberkiste vor. Du legst einen Zuckerwürfel hinein, und es kommt eine Schokolade heraus. Faszinierend! Du legst denselben Würfel erneut hinein – diesmal kommt ein Klavier heraus. Willkommen in der Welt der Komplexität. Gleiche Ursache, völlig andere Wirkung. Warum? Weil das System lebt, sich wandelt, vernetzt ist und eben nicht einfach nur kompliziert.

 


Komplexität – Jenseits von Kompliziert


Komplexität wird oft mit „kompliziert“ verwechselt. Doch während Kompliziertheit durch viele Einzelteile entsteht (wie bei einem Flugzeug), ist Komplexität nicht vorhersehbar, selbst wenn Du jedes einzelne Teil kennst. Der Mensch, das Team, die Organisation sind keine Rechenaufgaben mit einer richtigen Lösung.

Niklas Luhmann (1997) beschreibt Komplexität als Zustand, in dem mehr Möglichkeiten existieren, als realisiert werden können. Deshalb brauchen Organisationen Strukturen. Nicht um die Welt zu ordnen, sondern um mit ihrer Unordnung umgehen zu können.


 

Der Mensch als komplexes System


Menschen sind keine Maschinen. Sie denken, fühlen, erinnern und hoffen. Ihre Entscheidungen basieren nicht nur auf Logik, sondern auch auf Erfahrung, Intuition, Biografie und Beziehung. Selbst wenn zwei Personen die exakt gleichen Daten hätten, ihre Entscheidungen könnten grundverschieden ausfallen.

Die Psychologie spricht hier von Emergenz: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Ein Team ist kein Haufen Menschen, sondern ein System mit eigener Dynamik, Geschichte und Kultur. Diese Komplexität lässt sich nicht durch mehr Kontrolle auflösen, sondern nur durch Verständnis und Vertrauen.


 

Der Traum vom Berechenbaren – und seine Grenzen


Natürlich versuchen wir Komplexität zu bändigen, mit Algorithmen, Daten oder künstlicher Intelligenz. Doch auch Big Data hat ihre Grenzen. Denn vergangene Muster sind keine Garantien für zukünftiges Verhalten. Menschen überraschen. Immer wieder.

Peter Kruse (2011) erklärt, dass je höher die Vernetzung, desto geringer die Steuerbarkeit. Systeme kippen, reagieren über oder gar nicht und genau deshalb scheitern viele Change-Projekte nicht an Technik, sondern an der Annahme, man könne alles vorhersehen.


 

Komplexität annehmen statt kontrollieren


Was also tun? Peter Kruse (2011) hält fünf Strategien im Umgang mit Komplexität fest:


  1. Ausblenden – einfach weitermachen wie immer

  2. Rationales Durchdringen

  3. Trivialisieren – so schlimm wird’s nicht sein

  4. Ausprobieren – Try & Error

  5. Intuitives Vorgehen


Die letzten beiden – Ausprobieren und Intuition – seien die realistischsten. Denn sie ermöglichen Beweglichkeit, Feedbackschleifen und Lernen, statt Kontrolle und Illusionen.

Gerade Führungskräfte brauchen heute nicht die besten Antworten, sondern den Mut, Fragen offen zu lassen. Führung bedeutet, Räume zu schaffen, in denen Unsicherheit ausgehalten werden kann.


 

Ist Komplexität nur in unserem Kopf?


Die philosophische Frage aber bleibt: Ist die Welt wirklich komplex? Oder erscheint sie uns nur so, weil unser Gehirn nicht alles erfassen kann? Mit wachsender Rechenleistung, mehr Daten und KI könnten wir eines Tages sogar den Menschen „berechnen“. Oder?

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Denn sobald wir einen Menschen auf Zahlen reduzieren, fehlt uns das, was ihn ausmacht: Bedeutung, Beziehung, Erfahrung und Kontext. 

Die Frage bleibt offen und genau das ist das Schöne daran.


 

Komplexität ist keine Bedrohung – sondern eine Einladung


Wer Komplexität versteht, hört auf, sie bekämpfen zu wollen. Stattdessen beginnt er, sie zu erkunden. Wie ein Forscher, der nicht weiss, was er findet aber offen ist, es zu entdecken.

Komplexität ist die Sprache des Lebens. Wer verstehen will, muss zuhören, kontemplieren, reflektieren und mit Unsicherheit arbeiten. Und vielleicht braucht es dafür mehr Zauberkisten als Handbücher.




 

Quellen

 

Luhmann, N. (1997). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.


 

Kruse, P. (2011). next practice: Erfolgreiches Management von Instabilität (6. Auflage). Offenbach: GABAL Verlag GmbH.

 

 

 

 

 

 
 
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